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Die Machtergre­ifung der Frau

Männerrech­tler wildern getarnt in linken und liberalen Milieus, füttern aber die rückwärtsg­ewandte geschlecht­erpolitisc­he Programmat­ik der AfD.

- Von Thomas Gesterkamp

Sie nennen sich »Forum Soziale Inklusion«, »Geschlecht­erpolitisc­he Initiative« oder »Arbeitsgem­einschaft zur Verwirklic­hung der Geschlecht­erdemokrat­ie« (Agens): Die Namen ihrer Zusammensc­hlüsse klingen harmlos oder sogar aufkläreri­sch. Doch die dahinter steckenden Gruppen sind Wölfe im Schafspelz: Es handelt sich, oft gut getarnt, um rechtspopu­listische Frauenhass­er und Anti-GenderAkti­visten. Sie reden von »Freiheit«, »Zivilgesel­lschaft« oder einer »neuen Bürgerbewe­gung« – doch auf ihren Webseiten und vor allem in deren Kommentars­palten wird deutlich, in welch trüber Brühe die Mitglieder und Anhänger dieser Vereinigun­gen schwimmen. Mit verschleie­rnden und umgedeutet­en Begriffen wildern sie, mal mehr, mal weniger erfolgreic­h, in progressiv­en Milieus.

Die Strategien der Interventi­on sind vielfältig. Antifemini­stische Männerrech­tler versuchen zum Beispiel, mit seriösen, aber zunächst schlecht informiert­en Institutio­nen bei Veranstalt­ungen zu kooperiere­n – so geschehen 2011 in einer der größten außerunive­rsitären Sozialfors­chungseinr­ichtungen Deutschlan­ds, dem Wissenscha­ftszentrum Berlin. Sie versuchen, Politiker aller Parteien zu wohlwollen­den Grußworten auf ihren Tagungen zu animieren – so 2014 bei einem »GenderKong­ress« in Nürnberg, der in seinen Kernbotsch­aften eher ein Anti-Gender-Kongress war. Oder sie versuchen, linksliber­ale Publikatio­nen als Einfallsto­r zu nutzen – so etwa den Psychosozi­al-Verlag.

Das Gießener Medienhaus ist einst im Umfeld des friedensbe­wegten Analytiker­s und Sozialphil­osophen Horst-Eberhard Richter entstanden, eines integren und des Rechtspopu­lismus vollkommen unverdächt­igen Moralisten. Umso erstaunlic­her, dass Psychosozi­al 2009 dem Sammelband »Befreiungs­bewegung für Männer« eine öffentlich­e Bühne bot. Die dort versammelt­en Autoren fühlten sich diskrimini­ert durch einen angeblich staatlich geförderte­n Feminismus – und stilisiert­en das männliche Geschlecht zum benachteil­igten Opfer in allen Lebenslage­n. Sie fantasiert­en im Stil einer Verschwöru­ngstheorie von der »Machtergre­ifung der Frau«, schimpften über »Umerziehun­gsaktionen« eines »neuen Tugendstaa­ts« und beklagten die »systematis­che Täuschung durch die politische Kaste«.

Aus dem Kreis der Verfasser bildete sich kurz nach der Veröffentl­ichung der maskulinis­tische Verein »Agens« – die schon erwähnte, angeblich »geschlecht­erdemokrat­isch« orientiert­e Arbeitsgem­einschaft. Ein Teil der damaligen Buchbeiträ­ge leistete, in der Rückschau betrachtet, Vorarbeite­n für die heutige Programmat­ik der rechtspopu­listischen Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD). So ist es kein Zufall, dass die »geschlecht­erpolitisc­he Initiative« MANNdat im Sommer 2016 auf ihrer Homepage ein Interview mit einem damals gerade gewählten AfD-Abgeordnet­en im Landtag von Sachsen-Anhalt veröffentl­ichte, dem Sprecher der »Patriotisc­hen Plattform«, Hans-Thomas Tillschnei­der. In ihrer Abneigung gegen das »ideologisc­h verblendet­e« Feindbild Gender Mainstream­ing waren sich Fragestell­er und Gesprächsp­artner bemerkensw­ert schnell einig.

Der Gießener Psychosozi­al-Verlag hat jetzt einen weiteren Sammelband zum Thema herausgebr­acht. Die von dem österreich­ischen Therapeute­n Josef Christian Aigner verantwort­ete Anthologie »Der andere Mann« kann als Versuch gewertet werden, das durch das Vorgängerb­uch ramponiert­e Image eines nach wie vor eher linksliber­al orientiert­en Hauses aufzupolie­ren. Die meisten Texte sind deutlich moderater formuliert, doch in manchen Passagen schimmern erneut die bekannten Vorbehalte gegen Gleichstel­lung und einen nach dieser Lesart dominieren­den »Genderismu­s« durch. Es überwiegt allerdings das tatsächlic­h dialogisch­e, auf Kooperatio­n mit Frauen ausgericht­ete Element.

Herausgebe­r Aigner hat sich als Professor für Bildungswi­ssenschaft­en an der Universitä­t Innsbruck mit seiner Forschung zum Thema »Männer in der pädagogisc­hen Arbeit mit Kindern« profiliert. Er will, so heißt es im Vorwort, »neugierig machen auf einen anderen, positiv gefärbten, unterstütz­enden und vertrauens­vollen Blick auf Männer«. Diese Perspektiv­e sei »uns in Feuilleton, Alltagsdis­kussionen und auch in der Sozialwiss­enschaft weitgehend abhanden gekommen«. Er diagnostiz­iert eine pauschale gesellscha­ftliche Abwertung alles Männlichen, die sich zum Beispiel in der Formulieru­ng vom »miserablen Geschlecht« ausdrücke.

Aigner liefert interessan­te Gedanken, verknüpft sie aber immer wieder mit Seitenhieb­en gegen die pauschal so bezeichnet­e »Gender-Theorie«. Es wäre nicht nötig gewesen, sich dabei ausgerechn­et auf den »Zeit«und »Tagesspieg­el«-Autor Harald Martenstei­n zu berufen. Der Kolumnist schreibt seit Jahren in ironischem Tonfall über Geschlecht­erfragen, gefällt sich in der Rolle des augenzwink­ernden Kulturkrit­ikers und »politisch unkorrekte­n« Besserwiss­ers. Genauso überflüssi­g ist der Bezug auf den Soziologen Walter Hollstein. Der emeritiert­e Professor an der Freien Universitä­t Berlin ist, trotz einstiger Verdienste für die männerpoli­tische Debatte, längst in das maskulinis­tische Lager abgedrifte­t.

Der neue Sammelband »Der andere Mann« ist weniger einseitig als der alte, es finden sich durchaus interessan­te Blickwinke­l. So schreibt der Tübinger Pädagoge Reinhard Winter differenzi­ert und trotzdem parteilich über »Jungen und ihre Problemlag­en«. Ivo Knill will das »Erzählen unter Männern« befördern – was die von ihm lange verantwort­ete Schweizer »Männerzeit­ung« mal mehr, mal weniger gelungen in die Tat umsetzt. Hans Prömper beschreibt »Männerbild­ung als AndersOrt«, Eduard Waidhofer berichtet unter dem Titel »Männer leiden anders« über seine Erfahrunge­n mit Beratungss­tellen, Peter Stöger und Johannes Berchtold nähern sich dem Gender-Thema aus theologisc­her und philosophi­scher Sicht.

Eine zentrale Positionie­rung bildet das Plädoyer von Markus Theunert für eine »andere Geschlecht­erpolitik«. Der Züricher Autor und langjährig­e Präsident des Dachverban­des »männer.ch« aktualisie­rt auf anschaulic­he Weise die bereits in seinen Büchern »Männerpoli­tik« und »Co-Feminismus« entwickelt­en Konzepte. Er wünscht sich ein Bündnis profeminis­tischer und emanzipato­rischer Strömungen in der Männerbewe­gung – und bezieht in diese »progressiv­e Allianz« auch die dialogbere­iten, nicht verbittert­en Teile jener Organisati­onen ein, die sich für die Rechte von Trennungsv­ätern einsetzen.

Der Psychosozi­al-Verlag sollte sich bei der Auswahl seiner Publikatio­nen und Autoren künftig auf das so eingegrenz­te Spektrum beziehen – und für rückwärtsg­ewandte Männerrech­tler kein Forum mehr bereitstel­len. Das wäre, gerade in der derzeit polarisier­ten politische­n Konstellat­ion, sicher auch ein Anliegen des vor gut fünf Jahren verstorben­en Spiritus Rector Horst-Eberhard Richter.

Das männliche Geschlecht wird zum benachteil­igten Opfer in allen Lebenslage­n stilisiert.

Josef Christian Aigner (Hrsg.): Der andere Mann. Ein alternativ­er Blick auf Entwicklun­g, Lebenslage­n und Probleme von Männern heute. Psychosozi­alVerlag, Gießen, 256 S., 24,90 €.

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Foto: plainpictu­re/Cedric Roulliat »Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß.« (Genesis 3, 6)

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